Was gibt es zu sehen?
Zu sehen ist vor allem Marina Abramović, die sich meistens selbst als Kunstwerk in den verschiedensten Situationen, oft in Grenzsituationen, präsentiert. Originell, kreativ, verrückt.
Besonders gut hat mir das Video gefallen, wo sie einem Esel gegüber sitzt und ihn eine halbe Stunde lang fixiert. Der Esel macht dasselbe. Nichts weiter passiert. Darunter läuft ein Text mit Ereignissen aus ihrer Kindheit. Schier unglaubliche Geschichten. Was das soll? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es mich unglaublich fasziniert hat.
In einer anderen Performance sieht man die Künstlerin in einem Video wie sie eine Zwiebel isst, während man hört, was ihr in ihrem Leben alles schief läuft. Das schlug mir etwas auf den Magen. Auch ein anderes Video, in dem sie ein Kilo Honig löffelt, eine Flasche Wein trinkt, sich auspeitscht und sich schließlich nackt eine halbe Stunde lang auf ein Eiskreuz legt, ist kaum zu ertragen. Und trotzdem faszinierend.
Vorsicht Lebensgefahr!
Ein lebensgefährliches Kunstwerk: mit einem vergifteten Pfeil zielt der damalige Lebensgefährte von Marina Abramović auf die Künstlerin. Beide nur durch ihr eigenes Gewicht im Gleichgewicht gehalten. Jetzt keine falsche Bewegung machen. Da muss man erst einmal drauf kommen, das alst Kunst zu verkaufen. Ideen wie diese hatte das Künstlerpaar noch eine ganze Menge. Auch sie sind in der Retrospektive mit dem Titel „The Cleaner“ in der Bonner Bundeskunsthalle zu sehen.
Viel nackte Haut ist übrigens auch dabei. In Videosequenzen und in Natura. So stehen sich etwa zwei nackte Frauen in einer Tür gegenüber, die in einen weiteren Ausstellungsraum führt. Als Marina Abramović das vor vielen Jahren zusammen mit ihrem Freund aufführte, quetschten sich die Besucher zwischen ihnen durch. In Bonn können die Besucher einen anderen Durchgang wählen. Und das tun wohl auch die meisten. Ich habe zumindest niemand zwischen den beiden Frauen durchgehen sehen. Die Kunst besteht nicht in dem, was die beiden nackten Frauen darstellen, sondern in dem, was diese Situation mit uns macht.
Die heute 71 jährige Marina Abramović ging seit jeher immer an ihre eigenen psychischen und physischen Grenzen. So hat sie sich einmal in Italien einem Publikum als Gegenstand präsentiert. Sechs Stunden lang konnten die Männer und Frauen mit ihr machen, was sie wollten. Dazu standen ihnen 72 Gegenstände zur Verfügung. Unter anderem eine Rose, eine Feder, eine geladene Pistole und verschiedene Messer. Am Ende der sechs Stunden stand Marina Abramović nackt und geschunden da. Das ist in schwarz-weiß Bildern zu sehen. Die Gegenstände liegen vor der Leinwand auf einem Tisch. Die Künstlerin hat eine Situation provoziert, die zeigt, wozu Menschen fähig sind. Unglaublich. Diese Geschichte kann keinen kalt lassen. In einer Dokumentation, die ebenfalls in der Ausstellung gezeigt wird, beschreibt die Künstlerin sehr anschaulich, wie das damals war.
Gibt es denn auch was Schönes?
Ja, absolut. Auch wenn es sicher nicht die Mehrzahl der Werke sind. Da ist das Spiel mit Materialien, mit Geräuschen oder aber die Mitmachaktion, bei der die Besucher aufgefordert werden, Reiskörner und Linsen zu zählen. Dabei können sie sich Kopfhörer aufsetzen, um völlig ungestört in sich und in ihre Aufgabe einzutauchen.
Das alles macht etwas mit uns. Und das ist das Großartige an der Ausstellung. Ich bin sicher, sie wird noch lange in jedem Besucher nachwirken, der sich darauf einlässt und nicht fragt „Ist das Kunst oder kann das weg“ oder das Ganze für das Machwerk einer Verrückten hält.