Literatur aus der Eifel
Stefan Linder – „Der verschwundene Herr Hoffmann“
„Erinnerungen aus 40 Jahren im Dienst des Landes als Feldjäger und Kriminalist“ ist der Untertitel dieses rund 400seitigen Buches aus dem Miles Verlag. Wenn es nach Stefan Linder gegangen wäre hätte „Der verschwundene Herr Hoffmann“ über 700 Seiten umfasst. So viele Erlebnisse kamen bei dem ehemaligen Kriminalhauptkommissar im Laufe seiner Dienstzeit zusammen. Aber dieses absolut lesenswerte Buch zählt nicht nur Fälle auf, der gebürtige Andernacher reflektiert seine Arbeit, oft auch im Zusammenhang mit dem Weltgeschehen und gesellschaftlichen Entwicklungen, liefert ganz nebenbei ein Stück Zeitgeschichte und schreibt über seine Gefühle. Linder lebt in einem kleinen Dorf in der Osteifel. Das Buch hat er ursprünglich nur für seine Enkel geschrieben. Zum Glück hatte aber auch ein Verlag Interesse daran.
Autor Stefan Linder kann nach mehr als 40 Dienstjahren jetzt in seinem Garten entspannen
„Der verschwundene Herr Hoffmann“ – Über das Buch
Der Titel des Buches geht auf einen Fall zurück, bei dem ein Mann, eben besagter Herr Hoffmann, als sogenanntes Zufallsopfer getötet wurde. Ohne ersichtliches Tatmotiv. Ein möglicherweise gestörter Mann hat ihn erschossen, einfach weil Hoffmann zur falschen Zeit am falschen Ort war. Auch bei einem anderen Fall war Stefan Linder, der in dem sehr großen Zuständigkeitsgbereich des Polizeipräsidiums Koblenz arbeitete, involviert. Unter der Schlagzeile „Der Kannibale von Koblenz“ ereignet sich im Januar 2002 ein besonders spektakuläres und unappetitliches Verbrechen, bei dem Linder mit Kolleginnen und Kollegen ermittelte: der Täter, der gar nicht in Koblenz, sondern im Kreis Ahrweiler wohnte, tötete seine Cousine und aß womöglich Teile von ihr. Er wurde verurteilt und kam in eine psychiatrische Klinik. Das sind nur zwei Beispiele aus dem Buch. Viele kleine und große Kriminalfälle werden sehr ausführlich beschrieben, was nicht immer leichte Kost ist. Vor allem auch, wenn es um Selbstmorde geht, über die man in der Regel gar nichts erfährt. Aber Linder schreibt nicht nur über Selbstmorde, Leichenschauen und Ermittlungsarbeit. Er erzählt auch über seine berufliche Anfangszeit als Feldjäger bei der Bundeswehr und als Personenschützer. Besonders eindrucksvoll etwa über seine Aufgabe, während der Verhüllung des Reichstages durch Christo und Jeanne Claude im Jahre 1995 für die Sicherheit der Künstler zu sorgen. So hatte er sehr engen Kontakt zu ihnen und weiß noch ganz genau, wie damals alles hinter den Kulissen abgelaufen ist. Heute hängen von Christo handsignierte Kunstdrucke in Linders Wohnzimmer.
Untersuchung der Skelette von vier Wehrmachtssoldaten, die bei Neuwied gefunden wurden
Blumen und Kränze für die Kollegin und den Kollegen die in Kusel erschossen wurden
Die Polizistenmorde von Kusel
Stefan Linder hat innerhalb der Polizei immer wieder ganz unterschiedliche Aufgaben gehabt. Unter anderem hat er das Kriseninterventionsteam geleitet. So auch in Kusel unmittelbar nachdem seine beiden Kollegen Alexander und Jasmin von einem Wilderer erschossen worden waren. Später half er bei der Suche nach Projektilen der Jagdwaffe des Täters.
Stefan Linder – Leiter der Vermisstenstelle bei der Ahrflut
Als die zerstörerische Flut 2021 über das Ahrtal hereinbrach war Stefan Linder mit seinem Team als einer der ersten zur Stelle, um sich um Vermisste zu kümmern. Am Anfang waren das mehrere Tausend. Angehörige hatten sich aufgeregt an die Polizei gewandt, weil sie wissen wollten wie es ihren Kindern, Großeltern oder Geschwistern geht, die sich während der Unglücksnacht im Ahrtal aufhielten. Telefonisch war am Anfang niemand zu erreichen. Zum Glück konnte in den meisten Fällen Erntwarnung gegeben werden. Aber 135 Menschen starben bei der Ahrflut, sie wurden von den Wassermassen mitgerissen oder verschüttet. Die Toten mussten identifiziert werden, die Angehörigen benachrichtigt werden. Für Stefan Linder als Leiter der Vermisstenstelle eine Aufgabe, die mit viel Stress und Erfolgsdruck einherging. Wochen später musste er feststellen, dass er körperlich und psychisch am Ende war. Er erhält die Diagnose „posttraumatische Belastungsstörung“. Wenn man 40 Jahre lang täglich mit Toten, Zerstörung und Leid zu tun hat, dann mag das professionell aufgefangen werden und einen Gewöhnungseffekt haben, aber es bleibt eben auch immer etwas in den Kleidern hängen, so sein Therapeut. Die unfassbare Zerstörung, das unermessliche Leid der Menschen im Ahrtal war deshalb ein Wendepunkt in Stefan Linders Leben.
Stefan Linder im SWR Fernsehen
Nachdem sein Buch im August 2025 herauskam, wurde Stefan Linder auf die rote Couch ins SWR Fernsehen eingeladen. Dort erzählte er, wie es zu dem Buch kam und worüber er geschrieben hat. Wer also den Kriminalisten mit dem großen Erfahrungsschatz in Bewegtbildern sehen möchte, findet den Beitrag aus der SWR Landesschau unter diesem Link in der ARD Mediathek.
Polizeibeamte wollen und müssen in der Regel stark sein und glauben in allen Lebenslagen, keine Schwäche zeigen zu dürfen. Dass Stefan Linder so offen über seine prosttraumatische Belastungsstörung spricht, deren Auslöser die Ahrflut war, ist eher die Seltenheit. Wer mehr dazu lesen möchte, kann das auf dieser SWR-Seite tun.
Stefan Linder im SWR Studio zusammen mit Holger Wienpahl, Moderator der Landesschau
Von den Toten zu den Lebenden
Zwar ist Stefan Linder noch immer in therapeutischer Behandlung, aber es geht ihm schon wieder viel besser. Er macht eine Ausbildung zum Heilpraktiker für Naturheilverfahren und kann sich jetzt endlich statt den Toten den Lebenden widmen.
Mein Fazit
Ein überaus lesenswertes Buch, das nicht nur jede Menge Einblick in die reale Arbeit der Polizei weit ab von „Tatort“ und sonstigen Krimiserien gibt. Linder beschreibt Fälle, die wir aus der Zeitung kennen, über die war hier aber noch mehr Details erfahren. Und wir bekommen vermittelt, wie Menschen damit umgehen, wenn sie tagtäglich mit Kriminellen, Selbstmorden und Toten konfrontiert werden. Als Polizistentochter hatte ich schon immer großen Respekt vor der Polizeiarbeit – jetzt noch mehr.
Stefan Linder, Der verschwundene Herr Hoffmann, Miles Verlag, 22,8o €